Beschreibung | 01.01.1990. Als ich Anfang Dezember 1989 für das Magazin der Frankfurter Allgemeinen Zeitung nach Mödlareuth fahren sollte, um die Vereinigung Deutschlands am Beispiel dieses kleinen Ortes zu dokumentieren, konnte ich nicht gleich los, da ich gerade mit einem anderen Projekt beschäftigt war. Ich brach dann mit meinem Auto zwischen Weihnachten und Neujahr zu diesem kleinen Ort in der Nähe von Hof auf, einem Gebiet, wohin ich durch diesen Auftrag erstmals kam. Eine eigenartige Spannung entstand schon bei der Anreise, die, je näher ich dem angekündigten „Spalt in der Mauer“ kam, immer größer wurde. Im Westteil der Ortschaft hatte man sich schon auf den Mauertourismus eingestellt und einen Parkplatz oberhalb des Ortes eingerichtet. Von dort sah man auch erstmalig die kuriose Situation von Mödlareuth: Beidseitig der Grenze zog sich die Ortschaft in dem leicht hügeligen Gelände hoch und in der Senke verlief die Mauer. Gerade so, als ob man sicherstellen wollte, dass die durch die Mauer jahrzehntelang getrennten Familienmitglieder wenigstens weiterhin Blickkontakt haben konnten. Ich kam zwar um einige Wochen zu spät, um die sich in die Arme fallenden Bewohner von Mödlareuth in meine Bilder zu integrieren, aber gerade während der Weihnachtsfeiertage spürte man die Erlösung, die sich breitgemacht hatte. Obwohl sich hier in der Abgeschiedenheit auf dem Land, viel mehr als im fernen Berlin, alles viel langsamer vollzog. Bei meinen täglichen Märschen durch den fünf Meter breiten Spalt in der Mauer, musste ich mich mit meiner auf dem Stativ montierten Großbildkamera natürlich immer wieder bei den nur wenigen Schritten voneinander entfernten Grenzposten anmelden. Im Osten gab es jedoch eine Einschränkung: Ich durfte mich nicht weiter als 100 Meter in dem frei einsehbaren Gebiet von der Mauer entfernen. Nach diesem einwöchigen Aufenthalt in Mödlareuth, hatte ich bei meiner Heimfahrt nach Österreich immer wieder das Gefühl, als ob ich selbst auch Teil dieser neu gewonnenen Freiheit geworden wäre. |