19.09.1989, Im Januar 1989 lernte ich während eines Krankenhausaufenthaltes Brigitte B. kennen. Wir ­lagen in einem Neun-Bett-Zimmer; unsere Betten standen nebeneinander. Brigitte war mir ­sofort sympathisch: klein und zierlich, fast zerbrechlich, mit aufgeweckten Augen. In den ­Nächten fehlte die Krankenschwester. Da ich die einzige Patientin im Zimmer war, die herumlaufen ­konnte, kümmerte ich mich um die Kranken. Am meisten sorgte ich mich um Brigitte, ihr ging es sichtbar schlecht. Als ich entlassen wurde, tauschten wir unsere Adressen, unter Tränen. Später, als auch sie wieder zu Hause war, besuchte ich Brigitte oft und kümmerte mich um einige ihrer alltäglichen Aufgaben. Sie konnte ihr Bett nicht mehr verlassen. Irgendwann hatte Brigitte den dringenden Wunsch, mit ihrer Tochter Cornelia fotografiert zu werden. Dafür verließ sie unter Schmerzen ihr Bett. Auf dem Sofa nahm ihre Tochter sie in den Arm. Am Abend des 9. November 1989 sitze ich wieder an Brigittes Bett. Gemeinsam ver­folgen wir die Ereignisse im Fernsehen. Nachdem der Mauerfall bekannt gegeben wurde, drängt sie mich, ich solle nach Hause fahren, um mit meiner Familie zu feiern. Ich möchte sie in ihrem Zustand nicht allein lassen, doch sie besteht darauf. Zu Hause angekommen, eile ich die Treppen nach oben. Mein Mann steht bereits mit den ­Kindern in der Tür, jubelnd, mit zwei Gläsern Sekt in den Händen. Als wir anstoßen wollen, klingelt das Telefon. Brigittes Töchter rufen an. Ihre Mama ist tot.
TitelHalle / Saale. Cornelia B. mit ihrer Mutter Brigitte
Künstler*inKonstanze Göbel
SammlungEast for the record
Entstehungszeit1989
Beschreibung19.09.1989, Im Januar 1989 lernte ich während eines Krankenhausaufenthaltes Brigitte B. kennen. Wir ­lagen in einem Neun-Bett-Zimmer; unsere Betten standen nebeneinander. Brigitte war mir ­sofort sympathisch: klein und zierlich, fast zerbrechlich, mit aufgeweckten Augen. In den ­Nächten fehlte die Krankenschwester. Da ich die einzige Patientin im Zimmer war, die herumlaufen ­konnte, kümmerte ich mich um die Kranken. Am meisten sorgte ich mich um Brigitte, ihr ging es sichtbar schlecht. Als ich entlassen wurde, tauschten wir unsere Adressen, unter Tränen. Später, als auch sie wieder zu Hause war, besuchte ich Brigitte oft und kümmerte mich um einige ihrer alltäglichen Aufgaben. Sie konnte ihr Bett nicht mehr verlassen. Irgendwann hatte Brigitte den dringenden Wunsch, mit ihrer Tochter Cornelia fotografiert zu werden. Dafür verließ sie unter Schmerzen ihr Bett. Auf dem Sofa nahm ihre Tochter sie in den Arm. Am Abend des 9. November 1989 sitze ich wieder an Brigittes Bett. Gemeinsam ver­folgen wir die Ereignisse im Fernsehen. Nachdem der Mauerfall bekannt gegeben wurde, drängt sie mich, ich solle nach Hause fahren, um mit meiner Familie zu feiern. Ich möchte sie in ihrem Zustand nicht allein lassen, doch sie besteht darauf. Zu Hause angekommen, eile ich die Treppen nach oben. Mein Mann steht bereits mit den ­Kindern in der Tür, jubelnd, mit zwei Gläsern Sekt in den Händen. Als wir anstoßen wollen, klingelt das Telefon. Brigittes Töchter rufen an. Ihre Mama ist tot.